Dienstag, 17. April 2012

Fotokunst in der Stadtbahn

Der ganz normale Alltag auf Megapostergröße gebracht.
Eine Straße mit Kühen und Händlern, große Kinderaugen und kleine Jungs, die am Strand Rad schlagen, Priester mit roten Punkten auf der Stirn: all das gibt es auch außerhalb des Stadtbahnhofs Thirumanmiyur. Doch hier ist es etwas Besonderes.


Die Bilder sind Teil einer Fotoausstellung, die den sonst trostlosen Bahnhof auf besondere Weise belebt. Gerade weil die Fotomotive aus dem Leben der Fahrgäste stammen, schauen diese neugierig hin. Zusammen mit zwei regionalen Fotografen organisierte das Goethe Institut Chennai einen Workshop sowie die Ausstellung 24/7 im Rahmen Deutschlandjahres und Teil der jährlichen Art Chennai.

Eine alte Dame freut sich über das Interesse des Fotografen.
Trübe Hallen und schmucklose Bahnsteige. Hier hält sich niemand freiwillig auf, es sei denn er kann sich ein anderes Transportmittel nicht leisten. Und selbst diejenigen, die dort hindurch müssen, versuchen so schnell wie möglich wieder hinauszukommen. Etwas was die Hauptstadt Tamil Nadus sonst nicht hat, gibt es dort die Menge: Raum, der aber bisher kaum genutzt wird. 

Verschiedene Architekten hatten die  17 Bahnhöfe der MRTS Bahn (Mass Rapid Transit System) in den 70er Jahren entworfen. Shops und kleine Restaurants sollten dort einziehen. Doch dann wurden die Stationen nicht fertiggestellt, Firmen gingen pleite. Bauruinenartige Gebäude blieben übrig. Obwohl die Bahn mitlerweile gut funktioniert, sind die Stopps immer noch ein Desaster. Unter der Hochbahn führt der Buckingham Kanal hindurch, einst ein belebter Wasserweg, nach der Begradigung im Zuge des Bahnbaus  nur noch eine stinkende Lache.

Fernsejournalisten im Interview mit den Veranstaltern.
Ein Platz für eine Ausstellung? Mitnichten. Doch das Goethe Institut Chennai  hat es zusammen mit den Fotografen Varun Gupta und Andrew McNeil gewagt.  Am 14. März wurde die Ausstellung eröffnet.  Der deutsche Generalkonsul Dr. Stefan Weckbach sowie Karl Pechatscheck, Direktor des Goethe Instituts Chennai, begrüßten die Gäste.  Eine Performance der besonderen Art lieferte das Deutsche Jazz Ensemble Mahaphon Clang zusammen mit dem indischen Trommler Ramesh Shothan. Sie spielten im Einklang mit den einfahrenden Zügen experimentelle Stücke.

Heute schlendern durch Thiruvanmiyur Station  interessierte Besucher durch die Gänge, schauen, fotografieren und wundern sich. Es  sind nicht nur Menschen darunter, die hier sonst nie einen Fuß hineinsetzen würden, sondern auch solche, denen diese Art üblicherweise Kunst sonst verschlossen bleibt. Kunst und Fotografie, wie sie in Chennai  nur hinter Mauern und für ein ausgewähltes Publikum gezeigt wird.
Die Fotos sind innerhalb des Workshops mit dem Thema „One Day in Chennai“ entstanden. Profis und Laien liefen einen Tag durch die Stadt und fotografierten das tägliche Leben.  Einsendungen gab es über 1000 von denen 120 Fotos ausgesucht wurden:  Priester, die ihr tägliches Gebet verrichten, eine junge Frau, die mit einem Papagei flirtet, eine alte Dame, die ihr Haar eitel wie ein Mädchen zurückstreift, kleine Jungs, die am Strand Handstand üben.  Fast immer sind die Motive Menschen mit ausdrucksstarken Gesichtern, einige von ihnen auf riesige Poster gedruckt.

„Tagelang haben wir bis zum Umfallen geschuftet bis alle Bilder befestigt waren“, sagt der Fotograf Varum Gupta.  Sein Kollege, Alex McNeil, ein Brite, der in Chennai lebt: „Der Bahnhof war eine Müllhalde, aber das Reinigungspersonal der MRTS hat uns unterstützt.“  Die beiden Fotografen schweben nun wie auf Wolken. Dass diese Ausstellung zustande kam, grenzt  fast an ein Wunder. Denn der Widerstand,  Kunst öffentlich auszustellen, ist in Chennai enorm.  Die MRTS ist nun allerdings begeistert, vor allem auch, weil dem Unternehmen die Fotos geschenkt wurden. Die nächste Ausstellung wurde von Deepak Krishna, General Manager der Southern Railways bereits in Aussicht gestellt.  

Text und Foto: Senya Müller